Zusammenfassung
Awareness bezeichnet im anästhesiologischen Kontext die unerwünschte intraoperative Wachheit während einer Narkose, die mit oder ohne Erinnerung (sog. Recall) auftreten kann. Die Inzidenz wird mit etwa 0,1–0,2% aller Allgemeinanästhesien angegeben, begünstigt durch patienten-, eingriffs- und technikabhängige Risikofaktoren (bspw. ASA-Klassifikation ≥3, Kindesalter, Sectio caesarea oder Polytrauma). Diagnostisch können klinische Stresszeichen (bspw. Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg, Schwitzen, Tränenfluss) sowie das EEG-basierte Monitoring der Narkosetiefe herangezogen werden. Der sichere Ausschluss einer Awareness bleibt jedoch weiterhin schwierig. Daher kommt der Prävention eine besondere Rolle zu. Diese umfasst die Kenntnis der Risikofaktoren, die Minimierung akustischer Reize, eine engmaschige MAC-Kontrolle im Falle einer balancierten Anästhesie und das EEG-Monitoring bei erhöhtem Risiko für Awareness. Der Einsatz von Benzodiazepinen zur Prämedikation und die Vermeidung unnötiger Muskelrelaxierung kann ebenso zu einer Risikoreduktion beitragen. Das Vorgehen bei Verdacht auf Awareness erfordert interdisziplinäre und patientenzentrierte Maßnahmen, um die psychischen Folgen von Awareness zu reduzieren.
Definition
Epidemiologie
- Inzidenz: 0,1–0,2% aller Allgemeinanästhesien [3]
- Risikofaktoren
- Patientenabhängig
- Kinder
- ASA-Klassifikation ≥3
- Substanzabusus
- Eingriffsabhängig
- Sectio caesarea
- Polytrauma
- Herzchirurgische Eingriffe
- Abhängig von der Narkosetechnik
- Einsatz von Muskelrelaxanzien
- Verzicht auf Benzodiazepine zur Prämedikation
- Patientenabhängig
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Symptomatik
Diagnostik
Klinische Anzeichen
- Sympathikusaktivierung (vegetative Zeichen für Stress, Angst und Schmerzen ), bspw.
- Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz
- Vermehrtes Schwitzen
- Tränenfluss, Mydriasis
- Patientenbewegungen [4]
Monitoring der Narkosetiefe [2][5]
- Anwendung eines EEG-Monitorings bei erhöhtem Risiko für Awareness erwägen
- Mögliche Hinweise auf unerwünschte Wachheit [6]
- Synchronisierte, hochfrequente β- und α-Wellen (Sedierung)
- Hochfrequente β- und γ-Wellen (Wachzustand)
- Anstieg des BIS-Wertes (bei BIS-Monitoring) >60
Therapie
Vorgehen bei Verdacht auf Awareness [1]
Intraoperative Maßnahmen
- Sofortige Vertiefung der Narkose
- Information des chirurgischen Teams
- Ruhige Kommunikation mit Patient:in
- Ggf. Gabe von Benzodiazepinen [7]
Postoperative Maßnahmen
- Befragung der Person im Aufwachraum sowie nach einigen Tagen
- Standardisierte Fragen verwenden (Brice-Interview) [8]
- Was ist das Letzte, an das Sie sich vor dem Einschlafen erinnern?
- Was ist das Erste, an das Sie sich nach dem Aufwachen erinnern?
- Erinnern Sie sich an etwas, das dazwischenliegt?
- Haben Sie während der OP geträumt oder etwas wahrgenommen?
- Was war das Unangenehmste während der OP?
- Frühzeitiges Hinzuziehen von Psychiater:innen [2]
- Individuelles Vorgehen abhängig von Ausmaß und Ausprägung der Symptome [9]
- Siehe auch: Posttraumatische Belastungsstörung
Prävention
- Aufmerksamkeit und Vorsicht aller an der OP beteiligten Personen sowie Kenntnis der Risikofaktoren
- Abschirmen von akustischen Reizen [1]
- Einsatz von Benzodiazepinen (wenn indiziert)
- Verzicht auf Muskelrelaxanzien (wenn möglich)
- Engmaschige Überwachung der MAC bei Anwendung von Inhalationsanästhetika [2][5]
- EEG-basierte Messungen der Narkosetiefe (bspw. Bispektralindex™ oder Narcotrend®) [6]