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Spastisches Syndrom

Letzte Aktualisierung: 28.8.2025

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Das spastische Syndrom ist eine häufige Komplikation nach ZNS-Schädigung. Infolge einer Läsion absteigender motorischer Bahnen in Großhirn, Hirnstamm oder Rückenmark kommt es häufig zunächst zu einer schlaffen Parese, die im Verlauf durch neurogene und nicht-neurogene Vorgänge eine spastische Komponente erhält. Die Spastik ist definiert als eine geschwindigkeitsabhängige Erhöhung des Muskeltonus und zeigt sich in Form eines federnden Widerstands bei passiver Dehnung der Skelettmuskulatur. Sie tritt meist mit weiteren Zeichen einer zentralen Lähmung wie gesteigerten Muskeleigenreflexen und positiven Pyramidenbahnzeichen auf. Läsionen der motorischen Bahnen kommen bei vielen neurologischen Krankheiten (bspw. Schlaganfall, Multiple Sklerose, Rückenmarksläsion) vor, weshalb die Spastik ein häufiges Symptom ist. Die Therapie ist multimodal und richtet sich nach Ausprägung, funktionellen Zielen und Ätiologie. Sie umfasst nicht-medikamentöse Verfahren (bspw. Physiotherapie, Einsatz von Hilfsmitteln) sowie medikamentöse Optionen (bspw. orale Antispastika, die Injektion von Botulinumtoxin A, intrathekale Baclofen-Pumpen) und chirurgische Eingriffe.

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Epidemiologietoggle arrow icon

  • Prävalenz bei/nach häufigen neurologischen Erkrankungen (Auswahl) [1]
    • Schlaganfall: Insg. bei etwa ⅓ der Betroffenen in der chronischen Phase
      • Behindernde oder schwere Spastik: Bei knapp 10% aller Schlaganfallpatient:innen
      • Ca. ⅓ mit Beinspastik
    • Multiple Sklerose
      • Bei bis zu 80% der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung [2]
      • ½–⅔ mit Beinspastik
    • Zerebralparese: ¾ mit Beinspastik
    • Schädel-Hirn-Trauma: ⅛ mit Beinspastik

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

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Pathophysiologietoggle arrow icon

  • Primärer neurogener Pathomechanismus: Läsion absteigender motorischer ZNS-Bahnen [1]
    1. Pyramidenbahnläsion führt zu einer (zunächst schlaffen) Lähmung
    2. Im Verlauf (bis mehrere Monate nach Läsion): Die Läsion extrapyramidaler absteigender Bahnen hebt die hemmende Wirkung auf spinale Reflexe auf → Übererregbarkeit von α-Motoneuronen mit erhöhter Reflexantwort und gesteigertem Muskeltonus
  • Sekundäre nicht-neurogene Pathomechanismen: Im Verlauf (Wochen bis Monate) entstehende strukturelle Veränderungen von Muskeln und Bindegewebe durch die Spastik, die die Bewegungseinschränkung weiter verstärken [1]

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Symptomatiktoggle arrow icon

Spastisches Syndrom (Pyramidenbahnsyndrom, Upper Motor Neuron Syndrome) [1]

Verteilungsmuster einer Spastik [1]

  • Fokale Spastik: Betrifft ein bis zwei benachbarte Bewegungssegmente
  • Segmentale Spastik: Betrifft eine Extremität mit mehreren benachbarten Bewegungssegmenten
    • Bspw. Pes equinovarus mit Knie- und Hüftbeugehaltung
  • Multisegmentale Spastik: Betrifft zwei Extremitäten oder eine Extremität samt Rumpf
    • Paraspastik: Vollständige (spastische Diplegie) oder unvollständige (spastische Diparese) spastische Lähmung beider Beine
    • Hemispastik: Vollständige (spastische Hemiplegie) oder unvollständige (spastische Hemiparese) spastische Lähmung der Extremitäten einer Körperhälfte
  • Generalisierte Spastik: Betrifft mehr als zwei Extremitäten und den Rumpf
    • Tetraspastik: Vollständige (spastische Tetraplegie) oder unvollständige (spastische Tetraparese) spastische Lähmung aller Extremitäten
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Diagnostiktoggle arrow icon

Anamnese [1]

  • Erfassen der Symptomatik, insb.
    • Bewegungsstörungen, -einschränkungen
    • Nicht-neurologische Begleitsymptome, insb. Spastik-bezogene Schmerzen
    • Mögliche Spastik-Trigger
    • Auswirkungen im Alltag
  • Hinweise auf ursächliche Erkrankung (falls unbekannt)

Spastik-Trigger [1]

Neurologische Untersuchung [1]

Erweiterte Diagnostik

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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Behandlungsziele

  • Prävention: Frühzeitige motorische Aktivierung nach ZNS-Läsion kann Ausprägung eines spastischen Syndroms reduzieren (geringe Evidenz) [1]
  • Therapie: Individuell auf Förderung der Alltagskompetenzen und einschränkende Symptome fokussieren [1][3]
    • Stärkung der Muskelkraft
    • Reduktion der sekundär entstandenen Spastik, sofern förderlich

Nicht-medikamentöse Therapien beim spastischen Syndrom [1]

Medikamentöse Therapie mit Antispastika

Orale Antispastika [1]

  • Indikation
    • Zielsymptomatik steht im Zusammenhang mit einer Spastik
    • Ungenügender Behandlungserfolg trotz adäquater nicht-medikamentöser Therapien
    • Schwere und ausgedehnte spastische Syndrome oder nächtlich einschießende Spastiken
    • Ggf. als Begleitmedikation zu BoNT bei der Behandlung fokaler Spastiken
  • Zu beachten
    • Heterogene Evidenz für Wirksamkeit
    • Geringe therapeutische Breite, aber oft hohe Dosierungen nötig (individuell große Unterschiede)
    • Einschleichende Dosierung
    • Häufig Kombinationen verschiedener Wirkstoffe üblich (insb. bei spinaler Spastik)
    • Medikamentenwahl abhängig von Lokalisation der Spastik sowie von Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil
  • Allgemeine Nebenwirkungen (oft dosisabhängig)
Orale Antispastika - Wirkstoffe [1]
Wirkstoff Zu beachten
Baclofen
  • Häufige Anwendung
  • Relativ stark sedierend
  • Tagesmaximaldosis: 75 mg
Tizanidin
  • Häufige Anwendung
  • Tagesmaximaldosis: 36 mg
Dantrolen
  • Keine ZNS-Nebenwirkungen
  • Sehr strenge Indikationsstellung (potenziell hepatotoxisch)
  • Tagesmaximaldosis: 200 mg
Tolperison
Nabiximols
Benzodiazepine
Gabapentin

Wegen häufiger Nebenwirkungen ist eine kritische Indikationsstellung bei oralen Antispastika besonders wichtig! [1]

Lokale Injektionstherapie mit Botulinumtoxin A (BoNT A) [1]

  • Indikationen (Off-Label Use)
    • Fokale Spastik
    • Unzureichende Symptomkontrolle unter nicht-medikamentösen und oral-medikamentösen Therapien bei multifokaler oder segmentaler Spastik
    • Verhinderung von Sekundärkomplikationen
  • Zu beachten
    • Zulassungsbeschränkungen: Anwendungsgebiet je nach BoNT-A-Präparat unterschiedlich
    • Bei Wirkverlust Entwicklung neutralisierender Antikörper prüfen
    • Adjuvante Therapien: Kombinationstherapie mit nicht-medikamentösen Verfahren sinnvoll
  • Lokale Nebenwirkungen: Paresen, Hämatome und Schmerzen an Injektionsstelle
  • Durchführung
    • Analyse des Spastikmusters und der beteiligten Muskeln
    • Berechnung der notwendigen Dosis
    • Injektion in den Zielmuskel unter Ultraschall-, Elektrostimulations- oder EMG-Kontrolle
    • Wiederholung i.d.R. alle 3 Monate

Intrathekale Baclofen-Therapie [1]

  • Indikation
    • Schwere multisegmentale oder generalisierte (insb. spinale) Spastizität mit alltagsrelevanter Behinderung oder drohenden Komplikationen und
    • Ungenügende Therapiekontrolle der Spastizität trotz adäquater anderer Therapien
  • Zu beachten
    • Therapiebeginn (Testung und Dosisfindung) nur in erfahrenen Teams empfohlen aufgrund des erhöhten Risikos schwerer Nebenwirkungen durch Komplikationen des Pumpsystems
    • Therapiebeginn unter engmaschiger Kontrolle der Vitalparameter
  • Prinzip
    • Zunächst Wirksamkeitstestung mit getunneltem spinalem Katheter und externer Pumpe
    • Falls positiv: Implantation eines Dauerkatheters mit intrakorporal liegender Pumpe
    • Einschluss in therapiebegleitendes Langzeit-Versorgungsprogramm

Chirurgische Verfahren [1]

  • Indikation: Erwägen bei konservativ nicht-ausreichend behandelbaren spastischen Syndromen, um Fehlhaltungen, Pflegehemmnisse und andere Komplikationen zu vermeiden oder motorische Funktionen zu verbessern
  • Verfahren: Bspw. Muskelansatzlösungen, Sehnenverlängerungen, Muskeltranspositionen und selektive Neurotomien
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Besondere Patientengruppentoggle arrow icon

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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